Prolog Augsburger-Jakobsweg
Eines Tages wollte ich unseren, so abrupt abgebrochenen Augsburger-Jakobsweg im Mai 2014 wieder aufnehmen. Und zwar genau an der gleichen Stelle, in Bad Wörishofen. Es war irgendwie unvollendet.
Dass Marion und ich inzwischen die leichte Königsdisziplin auf dem Camino Pourtuges letztes Jahr zusammen gelaufen sind und auch zusammen in Santiago de Compostella in Spanien angekommen sind, sei hier nur am Rande erwähnt und könnt ihr hier noch einmal im Detail nachlesen.
Wie alles im Leben, hat alles seinen bestimmten Zeitpunkt und auch die entsprechende Zeitqualität.
Nach einem sehr intensiven halben Jahr, auf der gemeinsamen Reise durch das FBA Business zusammen mit meinem Bruder, schien nun der perfekte Zeitpunkt gekommen zu sein.
Dieser Caminofaden wollte weitergesponnen werden. Der Sommer bäumte sich noch einmal zu seiner vollen Pracht auf und nun duldete der Augsburger-Jakobsweg keinen Aufschub mehr. Und so sitze ich Anfang September im Zug mit Richtung Bad Wörishofen, aber nicht ohne einen Zwischenhalt bei meiner Pilgerfreundin Marion in Augsburg.
Tag 1: Tübingen * Augsburg * Bad Wörishofen
Auch Marion hatte ihren alljährlichen Camino schon absolviert und ich profitierte von ihren neu gemachten Erfahrungen und so saßen wir bei Bilderbuchwetter in einem Café bei den Markthallen in Augsburg.
Die Idee und dann auch die Entscheidung, alleine zu laufen kam auch in solch einem Gespräch zustande, da diese Erfahrung mir noch fehlte. Auch wollte ich mich stärker mit mir selber auseinandersetzen und noch tiefer in meinen Prozess der Selbstreflexion eintauchen.
So tauschten wir uns aus.
Die Vorfreude von meiner Seite wechselten sich ab mit den Erlebnissen von Marions diesjährigem Camino nach Ulm. Das Austauschen über diesen Spirit, welcher immer wieder vom Camino ausgeht, wurde geweckt und zwischen uns lebendig.
Viel zu schnell verging mein Zwischenhalt in Augsburg und so verabschiedeten wir uns mit einem Buen Camino (wie auch sonst…) und ich war unterwegs zu meinen Ausgangspunkt meine Allgäu-Jakobsweg nach Bad Wörrishofen.
Auf der Zugfahrt wurde mein Allgäu-Jakobsweg 2014 lebendig, da ich die gelaufene Strecke wiedererkannte. . .
Augsburg – die Wertach entlang – Reinhartshofen – Türkheim – Bad Wörrisofen. . . und nun stand ich am Bahnhof, genau wie vor 2 1/2 Jahren, nur diesesmal war die innere Ausrichtung und das Ziel klarer und gefestigter.
Irgendwie drückte mein, mal wieder viel zu schwerer Rucksack schon bedenklich auf meinen Schultern und ich war mehr als froh, ihn erstmal in meinem Hotel abzulegen und einen leichten Abendspaziergang durch Bad Wörrishofen zu unternehmen.
Die Freude stieg in mir hoch und der ganze Alltag schien bei einem Dosenbier vor der Sebastian Kneip Statue sich von mir zu lösen und abzufallen. Spiessiger konnte das Ambiente aber auch nicht sein, aber ich mit meinem Dosenbier in der Hand setzte den entsprechenden Kontastpunkt, zum fein heraus gebügelten, älterem Kurpublikum.
Auf dem Heimweg kam ich, kurz vor meinem Hotel an einem Kneipbecken vorbei und dachte mir, ich sollte eine Runde durchwaten und meinen Füßen vorab etwas Gutes tun. Anscheinend hat irgendein Teil in mir schon geahnt, was ich in den folgenden Tagen noch erleben sollte. Gedacht, getan.
Und so kam ich mit einer älteren Dame, in einen abendlichen Plausch, über unsere verschiednen Dialekte in Deutschland, da sie aus nördlichen Gefilden kam und ich ja, unüberhörbar aus den südlichen Breitengraden unseres Landes komme. Nun ja, irgendwann wünschten wir uns einen schönen Abend und verabschiedeten uns.
Beim Einbiegen in mein Hotel liefen wir uns wieder über den Weg und stellten fest, dass wir im selbigen nächtigten.
Nun wurde sie aber neugierig. Sie hatte mich beim Frühstück nicht gesehen und ich irgendwie ja auch nicht in das Bild eines typischen Kurgastes passte. Und so erzählte ich ihr von meinem Vorhaben, allerdings entließ sie mich nicht mit der Kurzversion, sondern wollte die Langversion von mir erfahren. Warum und wieso und stellte dann eigentlich die berechtigte Frage: „Warum der Jakobsweg?“
Nun da war sie wohl wieder diese Frage, welche nicht zu beantworten ist. Am ehesten vielleicht noch mit der Geschichtshistorie und ich bemerkte dann doch die eine oder andere Lücke und holte erstmal meinen Pilgerpass heraus und erklärte ihr anhand der Karte, die verschiedenen Wege, welche alle in Santiago zusammen laufen.
Mit großem Respekt segnete sie mein Vorhaben ab und wünschte mir alles Gute. Auf meinem Zimmer frischte ich erstmal meine Wissenslücken ein wenig auf (Hier der Link zu Wikipedia) bevor ich ins Bett ging.
Tag 2: Bad Wörrishofen * Dirlewang * Markt Rettenbach (22km)
Voller Tatendrang auf mein Caminoabenteuer wachte ich auf, die ersten Sonnenstrahlen drangen durch den Vorhang zu mir durch und sagten „Guten Morgen“ zu mir.
Was für ein Start.
Beim Frühstück war sehr schnell klar, dass es hier keine freie Platzwahl gibt, sondern alles nach einem wohl strukturierten Plan abläuft. Somit gesellte sich ein Radler, in meinem Alter zu mir. Wahrscheinlich dachte die Besitzerin sich, die Exoten setzten wir mal zusammen. Und da ich in all den Jahren der erste Pilger auf dem Allgäu-Jakobsweg in ihrem Hotel war, ist dass natürlich genau die Exotenrolle, welche mir schmeckte.
Der Radler und ich fanden schnell ein gemeinsames Gesprächsthema, über dass für und wieder längere Zeit alleine zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs zu sein und die damit verbundenen Probleme und Erfahrungen. Natürlich verabschiedete ich mich noch herzlich von der 82-jährigen Dame, als ob wir uns schon lange kennen würden. Ja, so ist es wohl auf dem Camino oder wenn man in das Herz eines Anderen für einen kurzen Moment blickte und sich verbunden fühlt.
Wie ein kleiner Junge, mit der inneren Freude auf etwas ganz Großes ging ich los. Ich nahm einen tiefen Atemzug von der morgendlichen, frischen Luft im Kurpark und jede Zelle schien sich für diese fantastische Natur zu öffnen und nach mehr zu schreien.
Nach den ersten Kilometern katapultierte mich mein iPhone aus meiner träumerischen Seinswelt schlagartig raus. Mir wurde schwach in den Knien, als ich von meiner langjährigen Freundin eine Nachricht erhielt. Alles schien sich kurzeitig zu drehen. Ihren Andeutungen, dass sie im Krankenhaus sei und auf mein Nachfragen warum, liesen die unverrückbare harte Wahrheit in Form von einer niederschmetterenden Diagnose folgen. Magenkarzonom, Methastasen, inoperabel – BUMM – so das sass.
Im nächsten Moment wurde mir die tiefere Bedeutung meines Allgäu-Jakobsweg klar. Meine Hauptmotivation ist aus Dankbarkeit meinem Leben gegenüber den Allgäu-Jakobsweg zu laufen. Mich an der Natur und den Menschen zu erfreuen.
Diesesmal kam eine andere Qualität dazu. Wir wissen alle, dass wir sterben werden. Was wir nicht wissen ist, wann und wie. In der Zwischenzeit verdrängen wir das Thema mehr oder weniger erfolgreich und fallen dann oft aus allen Wolken, wenn es soweit ist. Als ich in Indien im Ashram von Balaji Tambè war, hielt er sporadisch immer wieder einen Satsang ab.
Jemand fragte ihn: „Ich habe solche Angst vorm Sterben, was kann ich dagegen machen?“ Leider kann ich die Antwort nicht mehr im genauen Wortlaut und im Detail wiedergeben, aber sinngemäß zusammengefasst war es: „Wir bekommen immer dann Angst vor dem Sterben, wenn wir unser Leben nicht als unser Leben gelebt haben und vergessen haben zu leben!“
Als ich mit diesen Gedanken und Emotionen aus dem Wald lief, schrie mir schon ein Bauer auf seinem E-Bike zu: „Und wohin?“
Die ganzen Förmlichkeiten hat er gleich übersprungen und einfach weggelassen und so enstand ein herzlicher Plausch über die Kleinigkeiten unserer Leben und was der heutige Tag von uns wollte. . .
Tag 3: Markt Rettenbach * Ottobeuren * Bad Grönenbach (21km)
Fast wie bei einer Herbergsmama wurde ich heute versorgt. Ich hatte das komplette Dachgeschoß zur freien Verfügung und ein fantastisches Frühstück, inkl. einem interesanten frühmorgendlichen Gespräch.
Sie hat ein Herz für Pilger und ich wußte es zu schätzen, dashalb verabschiedeten wir uns auch dementsprechend.
Das erste Highlight sollte eigentlich Ottobeuren sein, da ich sehr gute Erinnerungen an diesen Ort hatte. Leider ging an diesem Tag von diesem Ort und auch von der berühmten Klosterkirche nichts auf mich über. Keines der Lokale lockte mich, bzw. aus einem habe ich mich gleich selber wieder verabschiedet, da es einfach hinten und vorne nicht stimmte. So machte ich eine Siesta im Klostergarten und gönnte meinen Füßen etwas frische Luft.
Die ersten Steigungen kamen und sollten sich bis Bad Grönenbach auf 5 Hügel aufsummieren. Leider merkte ich zu spät, dass das der Anfang von meiner ersten Blase war.
Die Temperaturen waren mittlerweile auf über 30°C geklettert und durch eine neue Streckenführung war diese Ettape gut und gerne 3km länger, als ich geplant habe.
Irgendwie habe ich schon auf „Nur-noch-ankommen“ Modus umgeschalten und bin die letzten Kilometer nach Bad Grönenbach ohne eine Pause voll durchgelaufen. Im Nachhinein der große Fehler, hätte ich meinen Fuß zu Anfang getapet, hätte ich die Blase verhindern können, aber Nein.
Auf der letzten Rille in Bad Grönenbach angekommen, war ein sehr schönes Schild an der Tür „komme später wieder“.
Da dieser Tag sich immer unrunder zu gestalten schien, versuchte ich es mit Gelassenheit und legte mich erstmal in den Garten. Irgendwann kam noch ein Ehepaar dazu, so war ich zumindest nicht mehr alleine beim Warten.
Nach dem Einchecken, zog es mich aber noch in die Stadt zum Marktplatz, um mir mein mehr als verdientes Pilgermenü einzuverleiben.
Nachdem ich 1996 und 2009 einige Wochen an diesem Ort verbringen durfte, war mir doch sehr vieles noch vertraut. Ebenso der Kohlenschieber und das servierte Schitzel.
Gesellschaft hat mir der Hauskater von Moni geleistet.
Ein versöhnlicher Abschluss, welchen ich mit einem Rundgang durch den Klinikhügel und über das Schloß ausklingen ließ. . .
Erinnerungen, gute Erinnerungen ließen mich meine schmerzenden Füße bis zum nächsten Morgen vergessen.
Tag 4: Bad Grönenbach * Herbisried * Altusried (13km)
Heute erlebte ich beim Frühstück, wie man es auch machen kann. Leiblos gedeckter Tisch, zu Viert hatten wir fast nur die Menge, welche mir meine Herbergsmutti gestern für mich alleine servierte.
Somit hielt mich nicht all zuviel in diesem Gästehaus und ich wollte natürlich meinen Fuss testen, wie die Lage der Blase ist.
Bestens getapt lief ich zur Touri Info um mir meinen Pilgerstempel zu holen, welcher eigentlich doppelt zählen müsste. . .
In diesem Augenblick holte mich mein iPhone wieder kurzzeitig vom Camino runter. Von meiner (UDO-) Freundin kam die Message dass der UDOnaut schon wieder ruft und für nächstes Jahr einen satten Nachschlag liefert und eine große Hallentour durch Deutschland plante. Vorverkaufbeginn nächste Woche. Schnell waren wir uns einig, Front-of-Stage Karten müssen am kommenden Montag beim Local-Dealer organisiert werden, wenn der Meister ruft. . .
Für den 2. Kaffee wollte ich eigentlich im Waldcafè einkehren, in Erinnerungen schwelgen und dabei das fanstastische Aplenpanorama bestaunen. Aus Beidem wurde erstmal nichts.
Das Waldcafé war noch zu und die Alpen haben sich hinter einer diesigen Wolkenwand versteckt. Okay, dann halt weiter.
Die Blase meldete, dass sie auch nicht mehr alleine ist und war schon voll am Start. Wie gut dass ich heute nur eine kurze Ettape eingeplant habe.
So mache ich in einer Wiese ein Mittagspäuschen und döse in Richtung der Wolken am Himmel. Irgendwann mündete mein Camino dann doch an die Iller, welche ich überqueren musste.
Ach ja da war doch was. . .
. . .eine topmoderne Hängebrücke, mit besten 360° Sichtkontakt zur Iller.
Au Backe, das Angstbewältigunsgprogamm aus BG schoß mir in Erinnerung, genau dafür wurde diese Brücke immer genutzt.
Den 2 Mädels, die vor mir liefen – DANKE – sie haben mich quasi mitrübergezogen. Vielleicht würde ich heute noch dort stehen? Wir wissen es nicht.
Man sollte meinen, dass Altusried nicht so groß ist, wie auch immer, die Straße von meinem Gästezimmer schien sich sehr gut zu verstecken.
Nach dem Weg fragend, sagte mit der Mann trocken: “Da gehts du jetzt durch meinen Garten und den Weg dann rechts und dann bekommst du bei der Maria ein weiches Bett.“
Da lies sich doch hören und genau so kam es. . .
Tag 5: Altusried * Wiggensbach * Ermunterst * Buchenberg (16,1km)
Eine Oase der Ruhe und des inneren Ankommens habe ich bei der Familie Breher gefunden.
Durch meine Quälgeister an meinen Füssen, war ich zu langsamerem Gehen verdonnert. Eine Art Entschleuningiung erlebte ich dadurch – inmitten absoluter Ruhe – ohne TV und weiteren Ablenkungsmanöver genoß ich dieses verschlafene Dorf – Ein Italiener (meine Rettung) und ein Netto, das war’s – der Rest vom Dorf ist entweder im Urlaub oder macht gar nicht mehr auf.
Beim Frühstück wurde ich von meinen älteren Gastgebern regelrecht verwöhnt. Als ich erwähnte, dass ich heute Nacht nicht alleine war, sondern auf Mückenjagd war, meldete der Hausherr sofort seiner Frau: „Du Maria, da warra Mückka“ und sie parrierte: „Ja, was soll i jetzt do macha?“ Er: „jo da wara Mückka“. Er meinte dann, dass sie in ihrem Schlafzimmer ein Mückengitter am Fenster haben. Ich meinte dann: „Ja, das hilft natürlich.“ Und so war das doch gleich mal ein lustiger Morgen mit einem wunderbaren Frühstück. . .
Meine Füssen schienen sich nur scheinbar regeneriert haben. Vermutlich duch mein unrundes gehen, durch die Blase unterm Fussballen, habe ich mir mittlerweile eine weitere, richtig Fiese am kleinen Zeh gelaufen, welche heute wohl in den Mittelpunkt wollte.
Sack und Asche dachte ich, dass gibt es doch nicht.
Zwischendurch wurde ich mit einer ersten fantastischen Panoramasicht auf die Berge entschädigt.
Auch war der Austausch mit meiner schwer erkrankten Freundin und das damit verbunde Thema mein ständiger innerer Begleiter. Irgendwie lief ich auch für sie, um ihr darüber Kraft und Licht zu schicken und empfand es als ein Geschenk, dass sie ihren persönlichen Prozess mit mir teilte.
Als ich in Wiggensbach einlief, steuerte ich zielgerichtet auf den ersten Italiener mit Biergarten zu und orderte erstmal einen Roten zur Schmerzregulierung. Ein Radlerpaaar auf Ihrer E-Bike Tour kam auch auf der letzten Rille an und gesellten sich zu mir und wir hatten einen ungezwungenen, lockeren Plausch über E-Bikes, Touren im Allgäu und Blasen zur Mittagsstunde. Da sie einen längeren Stopp einlegen mussten (wegen der Ladezeit der Akkus) machte ich mich nach meinem Roten wieder auf die Socken, da ich erst in der Alten Säge in Ermengerst Mittag essen wollte.
Etwas sauer wurde ich, als es an allen 3 angegebenen Stellen keinen Pilgerstempel gab. Es war Sonntag, aber in der Kirche war auch keiner und der Pfarrer war weiß Gott wo.
Also weiter noch 3 km bis Ermengerst, aber ich muss sagen, mit ein bisschen Rotwein im Blut ging es sich tatsächlich etwas leichter. In der Säge wurde ich mit den weltbesten Allgäuer Käsespätzlen verwöhnt und so gingen die letzten Kilometer nach Buchenberg auch noch irgendwie.
Aber genau dieses „irgendwie“ nistete sich so langsam bei mir ein und ich schaffte meine geplanten Tagesetappen nicht mehr.
Die Wetterprognose für die kommende Woche spielte mir auch nicht in die Karten und somit wurde ich gezwungen langsam mal gedanklich umzuplanen. Aber für den Moment musste ich mich erstmal vor dem heran nahenden Gewitter in Sicherheit bringen.
Als ich bei meinen Gästehaus ankam, hatte sie mich gar nicht auf dem Zettel und ich musste mich händeringend wieder bei ihr über unser, vor 2 Tagen geführtes Telefonat ins Gedächnis bringen.
Puhhh, Gott sei Dank habe ich das geschafft und ich hatte wiederum das komplette DG für mich alleine und konnte von dort aus, frisch geduscht das Gewitter beobachten.
Tag 6: Buchenberg * Hellengerst * Weitnau (16km)
Meine Vermieterin ist wie ausgewechselt und kocht mir sogar ein weiches Ei, während ich die fantastischen Voralpen bestaunte.
Mein Bedenken über den bevorstehenden Wetterumschung in 2-3 Tagen wurden natürlich sofort entkräftet, da die Allgäuer da ein komplett anderes einschätzen haben. Meine Blasen werden zwar langsam besser, aber ich werde die Strecken bis zum Wetterumbruch nicht mehr schaffen.
Also freundete ich mich langsam mit dem Gedanken an, evtl. einen Pausentag einzulegen und eine Ettape mit dem Bus zurückzulegen um mein Ziel, den Pfänder doch noch zu erreichen.
Ein Teil in mir fühlte sich sofort entspannt und wohl damit und ein anderer war damit gar nicht einverstanden. Mein Tagesthema schien gefunden zu sein.
Hier in Buchenberg laufen 2 Jakobswege zusammen. Der Münchner und eben der Augsburger in Richtung Bodensee.
Und tatsächlich, auf den ersten 100m sah ich schon 3 quasselnde Pilger vor mir.
Meine 5-tägige Ruhe schien akut gefährdet zu sein und deshalb stellten sich reflexartig meine Nackenhaare im 90° Winkel auf.
Also erstmal langsam machen und die Schnattergänse ziehen lassen.
Ich legte eine kleine Pause in einer Bushaltestelle ein.
Als ich gearde meine Blasen checkte, hörte ich schon wieder Stimmen. Ja, ist dass den ein Trampelpfad oder was – komisch, passte mir heute so gar nicht in den Kram.
Naja, 2 Ladies kamen und hielten – „Ob ich auf den Bus nach Santiago wartete“ fragte eine. Nicht schlecht – sehr witzig – dachte ich und so war das Eis gebrochen und wir waren auf einer Wellenlänge. Trotzdem hielt ich noch an meiner „Ich-will-alleine-gehen“ Parole fest.
Das Allgäu tischte jetzt wirklich alles auf, was es zu bieten hat und es war ein einziges Fest zu laufen.
In einem Waldstück hielt ich an einem kleinen Wasserfall.
Renata und Heidi habe ich schon länger aus den Augen verloren. Ich schloss meine Augen und meditierte auf der Bank.
Wörter stiegen in mir auf:
Die flaumgleichen, grünen Hügel legen sich samtweich über meine Seele.
Der Anblick der Kühe versetzt mich in meditative Zustände. Meine Meister des gelebten Zens in ihrem Sein.
Stilles verstehen in Verbundenheit und das Bimmeln ihrer Glocken ist das leitende, dazugehörende Mantra.
Die Kühle des Waldes ist eine regelrechte Regenartionskur für meine Zellen, welche sich immer weiter öffneten und auftankten.
Die Ruhe des Waldes lässt mich die Stille hinter allem wahrnehmen und inneren Frieden erfühlen. . .
Als die Zeit des Weitergehens gekommen war, dachte ich an eine Fatamorgana, als ich Renata und Heidi in der Ferne sah. Die Karte groß ausgerollt – ok, alles klar. Sie haben mich natürlich gesehen und warteten bis ich eintrudelte. Ja, wie in 3 Gottes Namen seid ihr den gelaufen?
Naja
1.) verlaufen sie sich nicht ständig, sondern immer und
2.) verstehen sie hier überhaupt nicht wie sie gelaufen sind und wo sie jetzt auf der Karte sind. Echt witzig die Zwei.
Ich sagte, dass ich hier
a.) bequem durch den Wald gelaufen bin und
b.) eine längere Pause an einem kleinen Wasserfall gemacht habe.
So diskutierten wir und schienen uns gerade auf der Stelle festzuquatschen, da meinte Heidi, wir könnten doch auch unterm Laufen weiterreden – ein hervorrageder Vorschlag und so liefen wir bis Weitnau zusammen.
Kurzweilige und tiefe Pilgergespräche wechselten sich ab. In Weitnau trennten sich dann unsere Wege nach dem gemeinsamen verweilen in der Kirche.
Beim Verabschieden wurde die tiefere Bestimmung unserer Begegnung schlagartig klar, da wir da erst unsere Namen austauschten und Renata fasst in Tränen ausbrach als sie meinen hörte.
Sie hat vor kurzem Ihren Sohn Andreas in meinem Alter verloren. . .
. . . wie gerne wäre ich mit den Zweien weitergelaufen, dachte ich mir etwas später.
Tag 7: Weitnau * Isny * Lindenberg * Scheidegg (mit dem Bus ca. 40km)
THE DIE IS CAST.
Die Würfel sind gefallen.
Heute ist Bus-Pilgern angesagt. 4x umsteigen.
Über Isny nach Scheidegg, um dann meinen Schlußakkord zum Pfänder hoch wieder selber spielen zu können. Da ich nun ja mit soviel Zeit zum Verweilen gesegnet war, ging ich noch einmal in die Kirche von Weitnau, wo Renata, Heidi und ich uns gestern verabschiedet haben.
Zu meinem Erstaunen, war die Kirche voll und eine Zeremonie wurde abgehalten.
Einschulungs-Gottesdienst.
Mein Herz war ergriffen und berührt, als ich die Kleinen mit so viel Freude auf dass was auf sie zukommt sah. Eine lebendige Kirche, in der auch Platz auf der letzten Bank für den muslimischen Vater mit seinem Sohn war, ein sehr schönes Bild – wieso geht das nicht überall auf der Welt?
Zum Abschluss suchte ich noch das Bild vom Hl. Andreas und dem Hl. Jakobus, welche nebeneinander hingen und ging mit diesen inneren Bildern meines Weges zur Bushaltestelle.
Nur widerwillig nahm ich im Bus Platz, mir schien alles zu eng und ich vermisste jetzt schon meine Freiheit beim Gehen.
Ja, es fehlte mir richtig, an diesem 7. Tag nicht pilgern zu können. Und die Geschwindigkeit, mit der der Bus unterwegs, war irgendwie zu schnell für meine Sinne. Ich vermisste das tiefe Einatmen, der herrlichen Luft, meine Zwiegepräche mit den Kühen und meinen Schlendergang.
Naja, in Isny hatte ich Zeit für einen Rundgang durch die Altstadt und traf dann auf einen Buddie, welche auch den Weg nach Scheidegg hatte und mich durch das Umsteigechaos im Allgäu lotse. Inzwischen war ich bzw. wir immer alleine im Bus, aber umgeben von gefühlten 1000 Schulkindern. Heute war gerade wieder der 1. Schultag. . .
Belohnt wurde ich in Scheidegg mit meiner Hotelwahl!
Blick und Sonnengang über dem Bodensee inklusive.
Vor dem Sonnenuntergang ging ich noch für die weltbeste Pizza und einen Roten zum Dorfitaliener- ohne Worte – zurück über den Panoramahöhenweg mit Blick zum 5-Länder-Eck (Bayern-BW-Österreich-Schweiz-Lichtenstein) in Abendstimmg – traumhaft, ohne wenn und aber!
Tag 8: Scheidegg * Skywalk *Möggers * Pfänder (14km) Bregnez * Lindau * Aulendorf * Tübingen (mit dem Zug)
So nun war er also da, der letzte Tag. Traumwetter Vorhersage.
Mein Fuss mit seinen mittlerweile 3 Blasen, war dankbar für den gesterigen Ruhetag. Somit ein letztes Mal den Rucksack schnüren. Mit Handschlag und Namen wurde ich verabschiedet und auf den Höhenwanderweg in Richtung Pfänder entlassen.
Ich machte als erstes einen Abstecher zum Skywalk, einer Höhenanlage mit Aufzug bis auf 40m hoch inmitten der Baumwimpfeln. Der Blick zum Bodensee war etwas verhangen, aber einmalig. Somit Abschlusshöhentraining , ach F*** die Gondel auf dem Pfänder wartet ja auch noch auf mich. . .
Egal im Hier und Jetzt bleiben und meine Kräfte für die letzten, doch ordentlichen Höhenmeter einteilen. Inmitten im Wald auf der Grenze zu Österreich, liegt die Ulrichkappele mit einer Quelle, an der der ich meine Wasservorrat auffüllte. Die Quelle ist heilend für jede Art von Augenleiden und war wirklich unglaublich belebend.
Hier traf ich auf Max, ein Pilger aus Nürtingen, wir werden immer wieder nun aufeinander treffen. Entweder war ich schon an einer Bank für eine Pause oder Er. Nette Momente. Beide waren wir aber schon mit der Heimreise beschäftigt.
Die letzten Anstiegsmeter zum Pfänder lief ich kurioserweise mit einem Ehepaar aus Köln, welches gerade aus einem 12-tägigen Urlaub aus Skandinavien zurückkam und in diesen Tagen unglaubliche 8000km gefahren sind. Los ging’s wohl immer in der Früh um 06:00Uhr. Gesehen haben sie gefühlt alles, meinte er.
Aber sie müssen die inneren Bildern nun anhand der aufgenommenen Fotos sortieren und machen deshalb gerade Urlaub, um den Urlaub zu verarbeiten. . .
Ja, die Menschenmassen verdeutlichten mir, mein Ziel ist nun zum Greifen nah.
Und tatsächlich, ich sah den Bodensee in seiner vollen Pracht von knapp 1100m Höhe aus. Gänsehaut und ein inneres Strahlen liesen sich nicht unterdrücken und erhellten wohl den ganzen Gipfel.
Einen Apfestrudel und ein Foto später stand ich dann in der Gondel, mehr als zufrieden in Richtung Bregenz und weiter mit dem Zug nach Hause. . .
Epilog
Eine Pilgerreise scheint immer zum richtigen Zeitpunkt zu kommen.
Tief dankbar für das Erleben dieser Tage mit all seinen Facetten darf ich sein. Mein Erleben mit den fantastischen Kühen, welche meine Zenmeister wurden und viele Momente der Einsamkeit, brachten mich mir näher und in einen Zustand der inneren Selbstreflexion und Erkenntnisse, welche mir viel Kraft und Klarheit gaben, für meine nächsten Schritte auf meinem Weg.
Irgendwo habe ich ein Zitat gelesen:
Pilgern ist beten mit den Füßen!
Wie das dann mit meinen Blasen, meinen Quälgeistern und den damit verbundnen Schmerzen zusammen hängen könnte, darüber werde ich bei der nächsten Runde nachdenken. . .
In diesem Sinne – Buen Camino
love, peace and light to all
amrit